Rede im Rahmen der Gedenkeier zum 1.11.2023 im Landesgericht für Strafsachen Graz

Prof. Karl-Albrecht Kubinzky


Frau Bürgermeisterin, Vertreter des politischen und öffentlichen Lebens in der Steiermark, Delegiere aus Slowenien, direkt oder indirekt Betroffene und engagierte Steirer, besonders hier Grazer!


Wir stehen auch heuer hier, um der Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Dis speziell in diesem so belasteten Raum. In einem sehr ähnlichen Zusammenhang gibt es weltweit, so auch leider bei uns, Demonstrationen, die Mord und Rassismus hochleben lassen. An einem Ort des Schreckens, wird aber die Geschichte der Jahre 1938 bis 1945 wiederum zur Realität. Hier gibt es nichts zu vergessen, kein verdrängen, kein Relativieren.


Die Illusion, die wir um 1990 hatten, dass wir einem neuen „Goldenen Zeitalter“ entgegengehen, hat sich als trügerisch erwiesen. Das mit dem „Lernen aus der Geschichte“ funktioniert leider auch nicht. Das müssen auch wir Historiker mit Bedauern erkennen. Am Tag der Toten, Allerheiligen ist wohl im Zusammenhang mit Allerseelen zu sehen, gedenken wir der besonders der in diesem Raum ums Leben gekommen. Diese Tafel bezeugt ihren Opfertod. Sie sind stellvertretend für alles das, was die politisierte Justiz in den so unglücklichen sieben Jahren angerichtet hat. Die juridische Aufarbeitung in der Zeit nach dem Mai 1945 war bekanntermaßen mangelhaft.


So ist der Gauleiter Uiberreither, zugleich der Landeshauptmann und dann Reichsstatthalter der Steiermark, übrigens eine typische Vermengung von Politik und Verwaltung, ungestraft davongekommen und verlebte als Friedrich Schönharting ruhige späte Jahre in der bayrischen Provinz. Es hat Jahrzehnte gebraucht, bis in Graz in würdiger Form der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wurde. Ich erinnere mich noch an eine einschlägige Tafel in der Paulustorgasse, die wegen der Uneinigkeit der politischen Entscheider lange Zeit mit Packpapier verhüllt war. Noch intensiver war der Konflikt um das Internationale Mahnmal am Zentralfriedhof. Heute wird dort mit einer breiten politischen Einheit der Opfer der Jahre 1938-1945 gedacht werden. Es gibt nun eine Reihe von Erinnerungsdenkmalen an den menschenverachtenden Terror jener Zeit. So erinnern in Graz Tafeln an den Tod von vier katholischer Geistlichen. Widerstand gab es von verschiedenen politischen Seiten. Opfer waren alle, die sich nicht mit der Gewaltherrschaft der NSDAP identifizieren konnten. Sogar uninteressierte Neutralität wurde schon als Verrat geahntet. Ja -, der Hauptplatz zeigte mit der Fülle erhobener Rechten 1938 die Macht der Gewaltübernahme des „Anschlusses“. Aber auch das war dort trotzdem nur ein Bruchteil der Grazer. Alle politischen Richtungen konnten in jenen Jahren den Freiheitsplatz oder den Hauptplatz mit Demonstranten füllen.


In Österreich haben sich 1945 und kurz danach aus einer Vielzahl von Verfolgtenvereinigungen drei Verbände als einschlägige Traditionsträger entwickelt. Aus der Sammelbewegung KZ-Verband entstand der heutige KZ-Verband, aus ihm entwickelte sich der „Bund Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer, Opfer des Faschismus und aktiver Antifaschisten“ und als dritter Bund die „ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten und Bekenner für Österreich“. Auch wenn ihr Einfluss auf die dahinterstehende österreichische Parteienlandschaft vor Jahrzehnten größer war, es gibt sie und ihre regionalen Teilorganisationen auch 2023 und sie sind im Sinne ihrer Statuten aktiv. Der Generationenwechsel ist bei uns erfolgreich vollzogen worden.


Trotz unübersehbarer Unterschiede arbeiten diese drei Verbände in Form einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Nicht unerwähnt soll aber auch sein das „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ und das „Mauthausenkomitee Österreich“ und natürlich auch die „Israelitische Kultusgemeinde“. Letztere in einem Zusammenhang von erschreckender Aktualität.Es ist Aufgabe der drei Verfolgtenverbände nicht nur der Erinnerung an Greul und Opfer zu gedenken, es ist auch ihre Aufgabe im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beizutragen, dass es nie mehr zu so einem Unrecht kommt. Es ist eine generationenübergreifende Aufgabe, das Gestern über das Heute mit dem Morgen zu verbinden. Wir stehen dazu! Ehren wir das Andenken aller, deren im Rahmen solcher Feiern gedacht werden muss und soll!


Univ.-Prof. Mag. Dr. Karl-Albrecht Kubinzky


Rede im Rahmen der Gedenkfeier zum 1.11.2023 am Zentralfriedhof Graz

Prof. Stefan Karner


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Steiermark hatte eine der höchsten Mitgliedsraten der NSDAP, war gleichzeitig aber auch ein österreichisches Zentrum des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, gespeist aus der starken Arbeiterbewegung in den Industriebezirken der Obersteiermark und in Graz, der traditionell katholischen Ost- und Weststeiermark sowie aus der Künstler- und Intellektuellenszene von Graz. Rund 13 Prozent der erfassbaren österreichischen Widerständler lebten in der Steiermark. Die zahlenmäßig bedeutendsten ideologischen Richtungen des steirischen Widerstandes waren links sowie katholisch. Während der linke Widerstand seine organisatorischen Netze schon seit 1934 aufgezogen hatte, hatte sich der katholische Widerstand nach 1938, teilweise gegen die eigene Kirchenführung, erst finden müssen. Anderen Gruppen wie die Legitimisten, Traditionalisten oder Zeugen Jehovas waren zahlenmäßig kleiner.

Neben der Ausschaltung der politischen Gegner, der Repräsentanten des Ständestaates, von Kommunisten und Linken, war in der Steiermark besonders die Verfolgung der rund 2.000 Juden, von Roma und Sinti, von Zeugen Jehovas, von zehntausenden Slowenen in der Untersteiermark sowie von Religionsgemeinschaften, vor allem der Katholische Kirche ausgeprägt. Die Verfolgung erfasste alle Gruppen der Gesellschaft, die ideologisch nicht im Gleichschritt des NS-Regimes mitmarschierten, sich diesem entgegenstellten oder nach den rassistischen Kriterien der NS-Ideologie „Menschen 2. Klasse waren“, als „lebensunwert“ galten oder tausendfach als Arbeitskräfte zwangsweise in unseren Fabriken und auf den Bauernhöfen arbeiteten. Zu den Opfern können wir auch eine kleinere Gruppe von „Schutzbündlern“ zählen, die enthusiastisch in die Sowjetunion flohen, um dort den „Sozialismus aufzubauen“, aber sehr schnell in den Gulag-Lagern Stalins verschwanden, ehe sie sich nach dem Molotow-Ribbentrop-Pakt 1939/40 in den Konzentrationslagern des „Dritten Reiches“ inhaftiert wurden. Man hatte sie gegen Sowjet-Agenten abgetauscht, wie Karl Fischer, um nur einen von ihnen zu erwähnen. Nicht wenige überlebten die Torturen beider totalitären Systeme nicht oder nur noch wenige Jahre nach Kriegsende.


Der Protest und der Widerstand gegen die verbrecherischen Maßnahmen des NS-Regimes haben Namen: Professor David Herzog, den man als Präsidenten der IKG mit dem Ertränken in der Mur bedrohte, der Theologieprofessor Johannes Ude, zuerst ein Prediger für den Nationalsozialismus, nach der Reichspogromnacht dessen entschiedener Gegner und mit Gauverweis belegt, die Laienbrüder und Wehrdienstverweigerer Ruf und Lerpscher, die als Wehrdienstverweigerer ohne den Segen des Bischofs unter dem Fall starben, die Mitarbeiter der „Rote Hilfe“, v.a. Lorenz Poketz, der Dichter Richard Zach, der Architekt Herbert Eichholzer, der Regisseur und Schauspieler Karl Drews oder Gertrude Heinzl, die mit Schwester Restituta zuletzt noch in der Todeszelle saß. In Graz wurde die Barbarakapelle im Dom zu einem Versammlungsraum des katholischen Basis-Widerstands, ebenso die Josefs-, Stadtpfarr- und Franziskanerkirchen. Zahlenmäßig zwar klein, doch präsent war der Widerstand der steirischen Zeugen Jehovas („Bibelforscher“), über 20 von ihnen wurden hingerichtet. Viele starben leise, in Einsamkeit, oft unverstanden von ihren Kameraden und Freunden. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Männer und Frauen, die das Unrecht sahen und dagegen ihren Widerstand setzten, während Tausende auf den steirischen Straßen und Plätzen, unter den Lautsprecherwagen oder zuhause ihre Begeisterung für das Regime kundtaten.


Zur Verfolgung von NS-Gegnern und zur ständigen Überwachung der Bevölkerung, ihrer Stimmungslage, Wirtschaft, Kultur, Volksgesundheit oder der Verwaltung, wurde ein umfangreicher Spitzel- und Sicherheits-Apparat. Das Risiko ertappt zu werden, beim Abhören ausländischer Sender, beim Abtippen und Verteilen von Flugzetteln, bei geheimen Zusammenkünften war enorm hoch.

Denn das totalitäre NS-System erzeugte Gewalt und permanente Angst, vor Denunziation durch Bekannte, auch Freunde oder Familienangehörige, vor politischem Fehlverhalten, vor Ausgrenzung; davor, nicht im Gleichschritt mit der Masse zu marschieren, ein Außenseiter, zu sein oder zu werden. Wer stellte sich selbst aus der Reihe? Wer hatte den Mut dazu? Im Betrieb, in der Straßenbahn, im Gasthaus? Jede Äußerung musste bedacht werden, konnte im KZ enden. Der Riss in der Gesellschaft ging quer durch Familien, durch Vereine und Gruppen.


Bis zum letzten Kriegstag wurden Steirer ihres Glaubens oder ihrer politischen Überzeugung wegen vom NS-Regime verfolgt und ermordet, in Konzentrationslagern, in Gefängnissen, in Hartheim bei Linz, am Feliferhof bei Wetzelsdorf, in Kasernen oder als „Fahnenflüchtige“ von der Feldgendarmerie, an Ort und Stelle, wo man sie gerade angetroffen hatte. Die zehntausende Steirerinnen und Steirer, die entschieden „Nein“ sagten, die dafür ihr Leben einsetzten, standen auf verschiedenen Ebenen und jeder Einzelne war eine Quelle neuen Mutes. Ob Wehrdienstverweigerer, Schauspieler. Dichter, Mädchen im illegalen Kurier- und Hilfsdienst, ob Partisan, Geld-Sammler für Familien Inhaftierter oder eine Juristin in Uiberreithers Behörde: Dr. Julia Pongracic war noch wenige Tage vor dem Ende des NS-Regimes wegen angeblicher Verbindung zu Partisanen in Slowenien hingerichtet worden. Über 15.000 Steirer, so schätzen wir, waren im Widerstand, Tausende von ihnen wurden verhaftet, hunderte nach scheinlegalen Gerichtsverfahren oder im KZ ermordet. Ihr Bekenntnis als Fundament des neuen Österreich zu würdigen, heißt gleichzeitig aber auch, über jene den Stab nicht zu brechen, die den Mut zum Widerstand nicht aufgebracht und zur immer schweigsameren Masse gehört hatten.

 

Graz hat sich jahrelang schwergetan mit der personenbezogenen Benennung des Unrechts, mit der Benennung von Tätern, die jahrzehntelang hier unter uns, vielfach unerkannt lebten – nachdem sie NS-Nachkriegsprozessen ihre persönliche Schuldlosigkeit an den Tötungen glaubhaft machen konnten. Die historische Aufarbeitung und die politische Umsetzung der Forschungsergebnisse haben in den letzten Jahrzehnten ein einigermaßen objektives Bild der Geschehnisse, aber auch der Involvierung zahlreicher Heimischer in die Verbrechen des NS-Staates zutage gefördert. Auch die Straßennamenkommission der Stadt, eingesetzt vom Gemeinderat unter Bgm S. Nagl, der ich vorstehen durfte, hat gerade in letzter Zeit viel zur Sensibilisierung beitragen können. Die vielen bereits montierten Zusatztafeln bei den Grazer Straßen zeugen davon. In wenigen Wochen werden alle Ergebnisse vorgestellt werden.

Meine Damen und Herren, es ist Zeit Unrecht als Unrecht zu benennen. Gestern und heute. Und es gilt jene immer wieder vor den Vorhang zu bringen, die das Unrecht sahen und dagegen auftraten. Sie sind Mahner und Hoffnungsträger zugleich. Und sie gehören mit in das Fundament unseres demokratischen Österreich, unserer 2. Republik.


Univ.-Prof. Mag. Dr. Stefan Karner